Diskussionsrunde in Berlin: Der demografische Wandel und seine Folgen. Die Zukunft der Gesellschaften in Deutschland und Polen
Zum einen betonte Irena Wóycicka, Staatssekretärin in der Kanzlei des polnischen Staatspräsidenten, den Einfluss des zivilisatorischen Wandels nach der Wende in Polen auf die Verbesserung der Lebensqualität und die damit zusammenhängenden höheren Ansprüche an das immer länger währende Leben. Die wachsende Zahl an Senioren müsse durch die heute aktive Generation versorgt werden. Dieser immer weiter zunehmende demografische wie gesellschaftliche Wandel Polens, der sich in den letzten Jahren zu einer „Kulturrevolution“ im Sinne einer Individualisierung und Pluralisierung der Lebensentwürfe entwickelt hat, stelle das größte Problem dar.
Durch eine bessere Ausschöpfung der vorhandenen Arbeitsressourcen mittels Generierung eines höheren Wachstums kann laut Wóycicka Abhilfe geschaffen werden. Dieses Wachstum solle dazu führen, dass eine komplexe Sozialpolitik Familiengründungen und die Erfüllung des Kinderwunsches ermöglicht. Auch ihre Gesprächspartnerin Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a. D. und Präsidentin des Deutschen Polen-Instituts, sieht die Entwicklung der Politik in Deutschland kritisch. Die immer noch vorherrschende „Verdrängungspolitik“ und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, welche vorhandene Kinderwünsche in den Hintergrund stellen, trügen nicht zur Verbesserung der Situation bei. Allerdings böten die veränderten „Alters-Bilder“ - das Altern bietet auch Möglichkeiten - die Entideologisierung der Kinderbetreuungsdebatte und die Einwanderungspolitik Chancen, um die Folgen des demografischen Wandels zu entschärfen.
In der zweiten Diskussionsrunde stellte die Warschauer Demografin Prof. Dr. Irena E. Kotowska die zukünftige demografische Entwicklung Polens vor. So prognostiziert sie beispielsweise aufgrund von „revolutionären“ Änderungen in der Gesellschaftsstruktur, einen dramatischen Rückgang der Bevölkerungszahl um ca. 6 Mio. auf 32 Mio bis zum Jahr 2060. Auch Prof. Dr. Hans Bertram, Mikrosoziologe aus Berlin, stellte die ähnlichen demografischen Entwicklungen in Deutschland dar. Seiner Meinung nach ist die Reproduktion einer Gesellschaft bereits bei einer Rate von 1,8 - 1,6 und nicht von 2,1 Kindern pro Frau gewährleistet. Auch hier gilt Qualität statt Quantität. Auch stellte er das Renteneintrittsalter mit 65 oder 67 Jahren in Frage. So kann die immer vitalere ältere Bevölkerung zum ökonomischen Gelingen der Gesellschaft und zur Entlastung der jungen Generation beitragen. Die wohl noch aus der wilhelminischen Ära stammenden Vorstellungen des Arbeitszeitmusters müssten dringend überdacht werden.